Wie KI neue Perspektiven für Kundenmanagement schafft

Ist die künstliche Intelligenz Freund oder Feind? Das war die Frage, die im Mittelpunkt des ersten iCONSMr Webinars von DEFACTO stand. Zum Auftakt einer Serie von Webinaren, die über aktuelle und neue Trends im Bereich Customer Centricity und Customer Relationship Management stattfinden, analysierte Alexander Rossmann, Professor an der Hochschule Reutlingen und Dirk Ploss, Trendscout bei Beiersdorf, die Auswirkungen der künstlichen Intelligenz. Zum Auftakt des Tages erklärt Professor Alexander Rossmann, was wir grundsätzlich unter künstlicher Intelligenz zu verstehen haben. Er erläuterte, dass es eine Vielzahl möglicher Definition gibt, je nachdem, welchen Anwendungsbereich man betrachtet. KI findet heute schon Eingang nicht nur in Prozesse die dem Konsumenten gegenübertreten, wie etwa der Personalisierung, sondern findet auch Anwendung in internen Prozessen zu Verbesserung der Effizienz. „Nicht nur digital native Unternehmen setzen längst KI ein, auch die Industrieunternehmen haben das bereits aufgenommen“, so Rossmann. Neben der Verbesserung interner Prozesse und der Optimierung der Kundenerfahrung unterteilt Rossmann den Einsatz von KI noch in ein drittes Segment, nämlich digitale Geschäftsmodelle, die ohne KI gar nicht möglich wären. Beispielhaft nennt er Spotify und Netflix, deren Geschäftsmodell auf der Personalisierung der Content-Auswahl basieren oder auch vernetzte Hardware im Internet der Dinge.

 

 

„80 Prozent der Energie in einem KI-Projekt gehen in die Aufbereitung der Daten“, sagt Professor Rossmann. Und er legt damit den Finger in die Wunde vor allem kleinerer und mittlerer Unternehmen, die während der Corona-Krise schmerzlich bemerken mussten, dass eine digitale Kommunikation mit Kunden nur auf Grundlage eines gut strukturierten und DSGVO-konformen Datensatzes möglich ist. „Wenn wir in den Automatismen nicht präsent sind, dann ist das schlecht für die Kundenerfahrung, denn dann machen die Kunden keine Erfahrung“, pointiert der Reutlinger Wissenschaftler. Aktuell herrscht eine riesige Lücke zwischen den Möglichkeiten der KI und der praktischen Umsetzung durch Händler und Hersteller. „Da existieren klare Potentiale für Wettbewerbsvorteile“, lautet der Call to action des Schwaben.

 

Auf einen weiteren Punkt legte er gegen Ende seines Vortrags noch großen Wert. Seines Erachtens nach geht die intensive Diskussion um Datenschutz am eigentlichen Problem vorbei. „Datensicherheit ist wichtiger als Datenschutz“, sagt er und meint damit die Vorkehrungen, die getroffen werden, damit personenbezogene Daten nicht in falsche Hände geraten. Die Datendiebe und Betrüger werden immer raffinierter.

 

Beauty-Tech

Im zweiten Teil erklärte Dirk Ploss von Beiersdorf, wie die KI heute schon im Hamburger Unternehmen eingesetzt wird. Ploss ist Trendscout und beschäftigt sich vor allem damit, welche Startups spannende neue Lösungen anbieten und wie man das in die Prozesse der Hanseaten integrieren kann. „Wir scannen zum Beispiel mit der Technologie eines deutschen Startups namens 100 Worte eingehende E-Mails von Kunden, um Erkenntnisse über deren Persönlichkeitsstruktur zu bekommen. Dadurch reden das Unternehmen und sein Kunde nicht mehr aneinander vorbei“. Auch die automatische Generierung von Produkttexten mit Hilfe der Stuttgarter Spezialisten von AX Semantics wird gerade in Hamburg getestet.

 

 

Dirk Ploss zeigte in seinem Vortrag allerdings auch, dass gewaltige Herausforderungen auf das Unternehmen zukommen. Das gilt zum Beispiel auf der Produkteebene. Wenn Maschinen in der Lage sind, Hautwunden zu schließen, braucht langfristig vielleicht keiner mehr Pflaster von Beiersdorf. Noch ist die Technologie des Greifswalder Unternehmens INP etwas zu groß für die Hausapotheke, aber die technologische Entwicklung schreitet so rasant fort, dass diese Form der Markt-Disruption nur eine Frage der Zeit ist.

 

„Wir befinden uns in einer exponentiellen Welt. Dank der globalen Vernetzung hat der Wettbewerb um Innovationen drastisch zugenommen“, so Ploss. „Schaut man sich die Entwicklung der Transistorendichte und damit der Computerleistung an, dann haben wir in den letzten Jahren dramatische Entwicklungen bereits gesehen und befinden uns aber immer noch ganz am Anfang der Exponentialkurve. Das geht alles viel schneller, als wir denken“. Auch im Service findet die KI heute schon Anwendung bei Beiersdorf, zum Beispiel in Form des Chatbots Marlies. „Den ersten Chatbot gab es bereits 1966. Er hieß Eliza. Bis vor etwa drei Jahren hat sich in diesem Bereich wirklich wenig getan, und wir haben uns einen Spaß daraus gemacht, die Chatbots an die Grenzen ihrer Möglichkeiten zu bringen“ begegnet der Hamburger gängigen Vorurteilen über die mangelnde Leistungsfähigkeit von Chatbots. „Heute hat plötzlich jedes Markenunternehmen Chatbots im Einsatz. Einer unserer Chatbots heißt Marlies und fungiert als digitale Hebamme. Er kann alle Fragen rund um Schwangerschaft und Geburt beantworten. Wir haben den zusammen mit dem Deutschen Hebammenverband entwickelt“ fährt er fort. Das Besondere an diesem Chatbot ist, dass er nicht gescriptet ist, sondern natursprachliche Eingaben versteht. Marlies versteht etwa 1500 Fragestellungen in Hunderttausenden von Formulierungen. „Hier ist die KI in Form von natural language processing längst mitten in unserer Kundenkommunikation angekommen“.

 

Dabei stellt sich die Frage, inwieweit man den Kunden mitteilt, dass sie mit einer künstlichen Intelligenz kommunizieren und nicht mit einem Menschen. Tatsächlich bekommt der Verbraucher oft nicht viel davon mit, wenn er mit einer KI interagiert. „Wir Endverbraucher benutzen KI ständig. Wenn wir ein Navigationssystem nutzen, dass uns um einen Stau herumführt oder das uns sagt: Voraussichtlich wirst Du morgen früh viel Verkehr haben, dann ist das kein einfaches Hochrechnen, sondern das sind Machine Learning Prozesse, die da im Hintergrund laufen“, erklärt der technisch beschlagene Marketer. „Die Algorithmen von Social Media sind dafür berühmt, wie gut sie darin sind, unser Interesse aufrecht zu erhalten. Der Suchtfaktor bei TikTok ist noch höher, als bei den meisten anderen sozialen Netzwerken“. Gerade dieser Tage ´kocht die Diskussion hoch, um die unbewusste Manipulation, die von den Sozialen Netzwerken ausgehen kann. Der Netflix-Film „The social dilemma“ zeigt zahlreiche ehemalige Führungskräfte von Facebook, Instagram, Pinterest und Co, die sich heute drastisch von der Technologie und deren potentiellen Folgen distanzieren. Und viele von uns nutzen KI auch schon, wenn wir zum Beispiel Sportberichte lesen, meint Ploss. T-Online verwendet KI zur automatischen Erstellung von Artikeln. Sportberichterstattung, Finanznachrichten basieren auf klaren Strukturen und lassen sich von einer KI daher recht einfach produzieren. „Für uns als Unternehmen ist KI auch längst zum Alltag geworden“.

 

Der wesentliche Punkt von Ploss ist aber, dass wir uns einstellen müssen, nicht mehr für Menschen Marketing zu betreiben, sondern für automatisierte Systeme, also Maschinen. Dank der fortschreitenden Personalisierung durch Künstliche Intelligenz, wird Marketing zum „Machine-Game“. Schon heute gibt es mit Dynamic Creative Optimization eine ganze Disziplin, die nicht nur das Ausspielen der Werbung (Media) sondern auch die Zusammenstellung der Werbemittel den Maschinen überlässt. Auf der anderen Seite werden personalisierte Assistenzsysteme den Produkt-Bedarf bei Kunden prognostizieren, bevor dieser selbst ihn erkennt. Auch dann werden automatisiert Vorschläge generiert vielleicht kauft die Maschine aber auch selbständig ein. „Der klassische Marketingaufbau: Awareness, Consideration, Puchase, Loyalty, Advocacy verliert zusehends an Bedeutung. Er wird ersetzt durch DDCCF: Demand, Delivery, Consideration, Confirmation, Feedback“. Die Maschine kauft ein, und der Mensch bewertet diese Handlung im Nachgang.

 

 

Was das für ein Unternehmen wie Beiersdorf bedeutet, erläutert Ploss am Beispiel Nivea. Wenn ein SmartSpeaker zur Bestellung von Produkten eingesetzt wird, dann sind zwei Dinge von entscheidender Bedeutung: Nach welchen Kriterien bildet der SmartSpeaker seine Vorschläge, wenn man nur generisch nach „Hautcreme“ fragt. Hier entsteht eine neue Disziplin, die der Suchmaschinenoptimierung ähnlich ist. Marketing to machines eben. Außerdem kommt es darauf an, dass eine Marke und deren Produkte überhaupt via Audio wahrnehmbar sind. Das gilt nicht notwendigerweise für ein eigenes Soundlogo, wie es zum Beispiel die Telekom oder Audi führen. Sondern das gilt vor allem auch für ganz banale Produktbezeichnungen. „Alexa, bestelle mit ein Nivea Men Active Energy Wake-up Soforteffekt-Gel 50 Milliliter ist vermutlich nicht das, was Kunden zu ihrem SmartSpeaker sagen“, schmunzelt Ploss.

Beide Veränderungen führen gemeinsam dazu, dass das Marketing to machines eine größere Wirkung als Suchmaschinenoptimierung hat. Es geht nämlich nicht mehr um Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit, sondern es ist die direkte Abkürzung zum Kauf. Und der Weg wird noch kürzer, wenn der Kunde seine Zufriedenheit mit der Auswahl kundtut und Folgebestellungen automatisch auslösen lässt, ohne seine einmal getroffene Kaufentscheidung erneut zu hinterfragen.

 

 

Was also treibt den Algorithmus, der für den Kunden eine Vorauswahl, eine Kuratierung übernimmt? Blickt man auf Amazon, so kann man hier schon ein paar Signale erkennen. Produkte mit guter Performance aus der Sicht von Amazon werden auch in ihrer Sichtbarkeit und „Hörbarkeit“ weiter gestärkt.  Fragt man erfolgreiche Amazon-Händler so geht es immer um die Conversionrate kombiniert mit der Marge, die Amazon durch die Provision verdient. Und natürlich ist es nicht weit hergeholt zu vermuten, dass ein Händler wie Amazon seine Türsteher-Rolle auch mit dem Verkauf von Werbeflächen für mehr „Hörbarkeit“ versilbert. Auch das geschieht im „normalen“ Amazon längst schon. Unternehmen bieten auf Tausende von Keywords, um in einer Produktsuche sichtbar zu sein. Das Steuern solcher Systeme funktioniert natürlich nur über Automatisierung. Learnings, die aus der Suchmaschinenoptimierung stammen, finden hier zum Teil Anwendung. Neben der Keywordanalyse führt die gezielte Auswertung der Kundenkommunikation und von Bewertungen dazu, dass man mit eigenem Content genau die Fragen adressieren kann, die die Nutzer haben. Und diese Fragen sind ein wichtiger Trigger für das künftige Suchverhalten auch bei Audiosystemen. Findet der Nutzer im Content die Antworten auf seine Fragen, steigt die Relevanz der Kommunikation und hoffentlich auch die Conversions.

 

Auch dazu – und so rundet sich das Bild ab – braucht es vor allem gut strukturierte Datensätze, so wie eine Marketing Personal, dass sich auf Business Intelligence und Data Mining versteht. Unterm Strich zeigte das Webinar, dass die KI weder Freund noch Feind ist. Sie hat auf jeden Fall, das Potential, Prozesse effizienter zu machen und eine neue Form der Kundenansprache zu ermöglichen, aber sie hält eben auch Herausforderungen parat, denen man sich stellen muss. Besser heute als morgen.

 

Hast Du noch nicht genug vom Thema? Hier kannst Du Dir das Webinar in voller Länge anschauen.