Podcast als Kundenbindungs-Tool

Wie können Unternehmen vom Podcast-Boom profitieren? Eignet sich die eigene Audioproduktion zur CRM-Maßnahme oder ist die Audio-Landschaft bereits übersättigt? Eine Analyse.

 

Etwa ein Viertel aller Deutschen hört Podcast. Damit ist das Audio-Format ein sehr spannendes Vehikel für Werbung und Kundenbindung. Quer durch alle Altersklassen, Genres und Themengebiete gibt es regelmäßige Audioproduktionen unterschiedlicher Qualität. Und es steht zu erwarten, dass sich der Boom fortsetzt, denn in anderen Ländern ist der Podcast-Boom noch deutlicher zu spüren. In Spanien hören vier von 10 Internet-Nutzern Podcast. In den USA sind es 36 Prozent (Quelle Statista). Dem bequem und überall zu nutzenden Audioformat gehört definitiv die Zukunft und Unternehmen müssen sich fragen, ob sie Podcasts zur Neukundengewinnung einsetzen oder zur Kundenbindung. Und ob sie selbst produzieren, oder in ausgewählten Produktionen werben.

 

Maria Scham freut sich: „Bei uns sind gerade alle im Podcast-Fieber. Die sprießen überall aus dem Boden und jetzt versuchen wir eine One-Pfizer Lösung zu finden – mit gemeinsamen Jingles und einem einheitlichen Auftreten gegenüber den Ärzten“. Maria Scham macht Marketing beim Pharma-Riesen Pfizer. Sie ist verantwortlich für sehr kleine, spitze Marktsegmente, die „Rare Deseases“. Mehr B2B geht kaum.

Philipp Westermeyer hingegen adressiert ganz Marketing-Deutschland. Für den Gründer der Online Marketing Rockstars ist der Podcast eine tragende Säule bei der Digitalisierung der Veranstaltung die wegen Corona abgesagt werden musste. „Wir versuchen das, was an Keynotes auf der OMR stattgefunden hätte, in Podcast-Folgen zu übertragen“, so der Hamburger.

 

Der Podcast ein CRM-Allheilmittel? 

Es gibt nichts, wozu es inzwischen keinen Podcast gibt. Vom Liebesleben der Ameisen bis zur buddhistischen Selbstfindung. Vom täglichen Corona-Report bis hin zur Sammlung der absurdesten Kriminalfälle oder Verschwörungstheorien. Auch die Kanzlerin spricht durch Earpods zum Volk.

Das Wachstum der gesamten Szene liegt bei stabilen 20 Prozent pro Jahr, berechnet Nielsen Research für die USA (https://www.nielsen.com/us/en/insights/article/2020/podcast-content-is-growing-audio-engagement/). Das bedeutet, dass sich bis zum Jahr 2023 die Hörerzahl bzw. die Menge der angehörten Podcast-Minuten annähernd verdoppelt. Spannend ist, was Nielsen über die Nutzungsgewohnheiten herausgefunden hat. Wer viel Podcast hört, hört tatsächlich auch mehr lineares Radio! Der Podcast verdrängt hier kaum andere Mediengattungen, sondern er wird in die auditiven Lücken des Tages eingefügt. Die Heavy-Podcast-Listener machen das beim Pendeln oder während der Arbeit. Die Gelegenheitshörer verstärkt zuhause. 20 Prozent aller Podcast-Abrufe finden laut Nielsen im Auto statt.

 

Noch interessanter wird es, wenn man die Nutzungsdauer betrachtet. Während Social Media Content immer kürzer und snackable geworden ist, etablieren sich im Audiostream Langformate mit bis zu einer Stunde Content. Das ist unter anderem der Tatsache geschuldet, dass das bildschirmfreie Format Lücken in der Customer Journey füllt, in denen ein Bildschirm nicht funktioniert. Beim Pendeln mit Auto oder U-Bahn, während Routine-Tätigkeiten im Büro, bei der Haus- und Gartenarbeit oder beim Sport.

Angesichts dieser enormen Akzeptanzrate, der thematischen Bandbreite und dem sehr einfachen Zugang zu Podcasts wird deutlich, dass sich das Format definitiv für die Kundenbindung eignet. Erik Siekmann, Marketingberater aus Hamburg, bedient mit seinem Podcast „Marketing Transformation“ (https://marketingtransformationpodcast.podigee.io/10-mit-philipp-werner) eine sehr keines Marktsegment. Es geht vor allem um Automatisierung, Programmatic Advertising und Co. also die sehr technische Seite des digitalen Marketings. „Ich hätte nicht gedacht, dass sich das im Schnitt 1000 Leute pro Folge anhören“, schmunzelt Siekmann.

 

Qualität geht nicht nebenbei

Entscheidend für die Frage, ob sich der Podcast für CRM lohnt, ist der Content-Ansatz. Welche Inhalte sind so interessant oder relevant, dass die potentiellen Benutzer bereit sind, sich dafür an das neue Format zu gewöhnen und den entsprechenden Abruf zu organisieren? Ein namhafter Konzern nutzt den Podcast aktuell, um den internationalen RollOut einer neuen Sub-Marke zu begleiten. Der Podcast hält die europaweit verstreuten Teams auf dem Laufenden, was gerade passiert. Eine Art auditiver Newsletter also, der sich auf der morgendlichen Fahrt ins Büro einfach konsumieren lässt. Möglicherweise ist dieser Ansatz eine Blaupause. Ein Blick in die Newsletter-Inhalte und deren Abrufzahlen kann schon deutlich machen, wie man inhaltlich in das neue Format startet.

 

Der OMR-Podcast von Philip Westermeyer geht im Grunde einen ähnlichen Weg. Westermeyer weiß aus den Live-Events, dass sein Publikum zwei Hauptinteressen hat: Wie geht digitales Marketing in der Praxis und was machen die Superstars der Marketing-Branche und der Startup-Szene anders. Die Praxis wird vor allem von redaktionellen Inhalten auf OMR.de abgedeckt. Die Personalities aber kommen im Podcast zu Wort. Für das OMR-Team ist das Erscheinen einen neuen Folge der perfekte Anlass, um aktuell zwei Mal wöchentlich Erinnerungsmails zu verschicken und dadurch eine Kundenbindung über das ganze Jahr aufzubauen, die nicht einmal der große Wettbewerber dmexco hat.

 

Der erste Blick bei der Evaluation eines potentiellen Podcastprojekts sollte sich also auf die Inhalte richten, die den Kunden und Nutzern von Newsletter oder Website bereits in der Vergangenheit gut gefallen haben. Ein Blick in die Analysedaten und auf die Abrufzahlen der jeweiligen Plattform helfen weiter. Allerdings sollte man sich davor hüten, zu werblich oder gar Sales-lastig zu werden. Es gilt das klassische Content-Marketing-Paradigma: der Nutzen oder Unterhaltungswert aus Sicht des Kunden muss stimmen.

 

„Es wird für die kleinen Podcaster immer schwieriger eine Audience zu erreichen“, sagt Podcast-Urgestein Alexander Wunschel im Interview. Dabei richtet sich sein Blick aber auf die „öffentlichen“ Podcasts, die mit den ganz großen, populären Formaten wie „Gemischtes Hack“ im Wettbewerb stehen. Der Vorteil des Unternehmenspodcasts im Rahmen von CRM ist, dass man die Zielgruppe besser eingrenzen kann. Man kennt sie bereits oder man hat Targeting-Parameter zur Verfügung, um potentielle Hörer als Werbekunden zu identifizieren und ihnen die nächste Podcast-Folge zum Beispiel per LinkedIn-Anzeige schmackhaft zu machen.

Das gelingt freilich leichter, wenn man nicht nur ein spannendes Thema hat, sondern einen innovativen Ansatz. Die allermeisten Podcaster laden Gesprächspartner zu sich ein und plaudern mit denen eine Stunde über dieses und jenes. Das ist zwar ganz nett, gibt es aber an jeder „auditiven“ Straßenecke. Redaktionell aufbereitete Features, echte Themen-Interviews,  „Fünf Fragen an“ oder die Podcast-Battle bleiben oft pointiert bei einem Thema und sind daher für den User besser zu greifen und sie lassen sich prägnanter vermarkten. Alex Wunschel sieht da noch viel Potential: „Mir fehlt es aktuell vor allem an kreativen Ideen bei diesem Thema“, so der Münchner.

 

Ein erster Anknüpfungspunkt, um ein spannendes Format und ein interessantes Thema zu finden könnte sein, sich den Fragen zu widmen, die Kunden oder Prospects stellen. Gibt es Hintergrundinformationen, die die Menschen interessieren, zum Beispiel die Herkunftsländer von Produkten. Ein Thema, dass Starbucks oder Tchibo inszenieren könnten. Oder man erzählt gleich Kundengeschichten, wie Hornbach das tut. Die Podcast-Macher der Baumarktkette gehen zu Bastlern und führen Werkstattgespräche. Man lernt den mitunter verrückten Enthusiasmus der „Macher“ kennen, lernt aber auch in jeder Folge neue Techniken und Tipps rund ums Heimwerken.

Der Marketer hat also die Qual der Wahl in Sachen Format und Inhalt. Aber ein Parameter ist gesetzt: Regelmäßig sollte das Format erscheinen, damit Kundenbindung auch dauerhaft funktioniert. Zu Beginn ist eventuell ein 14-Tägiges Format gut machbar. Die übliche Frequenz lautet aber wöchentlich. Natürlich lässt sich das weiter steigern, wenn man wie Gabor Steingart tägliche Nachrichten zu verkünden und zu bewerten hat. Allerdings sollte man hier die Kosten-Nutzen-Relation im Auge behalten. Steingart ist von Beruf Medium und er verdient sein Geld mit Content bzw. Werbung. Customer Relationship Management muss immer auch darauf achten, Kunden nicht kommunikativ zu „verbrennen“.

 

Der Podcast als Werbeträger

Wem das zu viel erscheint, für den öffnet sich in diesen Tagen ein weiteres Feld zur Nutzung von Audio als Medium der Markenbildung und Markenerinnerung: Podcast goes Programmatic. Audio-Plattformen wie der deutsche Radiovermarkter RMS aber auch Spotify öffnen ihre Plattformen aktuell für programmatisch ausgespielte Spots. Wie im Digitalmarketing üblich, wählt der Werbungtreibende Targeting-Parameter aus und definiert damit eine Zielgruppe. Den Rest macht intelligente Software. Sie sucht die Podcasts aus, denen die gewünschte Zielgruppe lauscht und schaltet die Spots davor oder spielt sie als Unterbrecher ein. Vollautomatisch.

Allerdings ist Audiowerbung gerade im Podcast-Umfeld ein heikles Unterfangen. Die intime Atmosphäre die sich zwischen dem Podcaster und seinem Publikum aufbaut, wird durch den „Seitenbachermann“ empfindlich gestört. Es braucht also im Grunde die gleichen Talente um gute Audiowerbung für die Zielgruppe zu machen, wie um einen eigenen Podcast aufzubauen.

 

Aus Sicht der Kundenbindung könnte daher der Sponsoring-Weg der richtige sein. Hier tritt das Unternehmen in den Hintergrund und unterstützt ganze Podcasts, bestimmte Themen oder einzelne Beiträge als Sponsor.  Je besser Podcast und Unternehmen zusammenpassen, umso leichter funktioniert der Transfer zum Beispiel zur Leadgenerierung. Ein Sponsorvertrag signalisiert, dass das entsprechende Unternehmen einen Podcast „ermöglicht“. Das ist ein sehr positives Signal in Richtung Zuhörer. Außerdem sind solche Verträge langfristig angelegt und erst dann verbindet sich der Inhalt wirklich mit dem Namen des Sponsors, man denke etwa an die Namen der Fußballstadien. Und drittens gehört zum Sponsoring, dass man nicht nur die fertigen Folgen in die eigene Kommunikation einbindet sondern auch den Podcaster für Sonderaktionen aktivieren kann, etwa eine live produzierte Folge auf einer Messe oder zur Verlosung von Produkten etc.

 

Alex Wunschel macht heute nur noch ausgewählte Produktionen, die ihm Spaß machen und er wünscht sich Firmen, die sich darauf einlassen, mit ihm neue Ideen zu entwickeln. Er hält das Host-Endorsement für die beste Mischform zwischen Werbung und Content. Der Podcast bleibt integer, die User haben sich ja an die Stimme des Podcasters gewöhnt. Außerdem steht dessen Ruf auf dem Spiel, was dafür sorgt, dass er sich Mühe gibt, damit die Sponsoren zu seiner Zielgruppe passen. Host Endorsement ist das Influencer-Marketing im Podcast. Man muss die Marke ein Stückweit loslassen. Daraus entsteht aber eine Botschaft, die intensiver wirkt als der klassische Audiospot.

 

Unterm Strich zeigt sich, dass der Podcast nichts anderes ist, als verändertes Mediennutzungsverhalten. Darauf müssen Marketing und CRM natürlich reagieren. Das Schöne an diesem Format aber ist, dass man durchaus auch längere und komplexere Inhalte spielen kann, vorausgesetzt, man bereitet sie spannend auf. Das können Banner oder Influencer-Kampagnen auf Instagram kaum.

User, die Podcasts abonnieren (und dabeibleiben), sind ein treues Publikum. Über die Zeit bietet sich Möglichkeit, ein wesentlich größeres und emotionaleres Bild eines Unternehmens oder einer Marke zu zeichnen, als das mit anderen Kommunikationsmitteln möglich ist. Und es erweckt den Anschein, als wäre der Podcast gekommen, um zu bleiben. Er füllt Lücken im täglichen Medienkonsum der Menschen und mit den Möglichkeiten von Interactive Audio via Smartphone oder Smartspeaker steht ein sehr spannender Innovationszyklus an, der noch ganz neue Formate ermöglicht. Radio-Vermarkter RMS experimentierte letztes Jahr mit Voice-Feedback. Der Zuhörer kann per Sprache bestimmte Aktionen auslösen, während er einen Spot gehört hat: Alexa, buche mir eine Probefahrt.

 

Autor: Frank Puscher für DEFACTO iCONSMr